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128,50 Euro fürs Gutsein: Dortmund erklärt Mildtätigkeit zur Ordnungswidrigkeit

Es gibt Geschichten, die sind so deutsch, dass selbst Büroklammern beim Lesen salutieren. Und dann gibt es jene Geschichten aus Dortmund, die den Amtsschimmel nicht nur wiehern, sondern regelrecht Opern singen lassen. Die folgende Episode fällt eindeutig in die zweite Kategorie – mit einem glänzenden Hauptdarsteller: dem Bußgeldbescheid über stolze 128,50 Euro. Für was? Für Falschparken? Für Steuerhinterziehung? Für das Anschreien eines Staubsaugerroboters? Nein, viel schlimmer: für das Abstellen von Pfandflaschen für Bedürftige.

128,50 Euro fürs Gutsein

Ja, richtig. In Dortmund ist es inzwischen gefährlicher, zwei Flaschen neben eine Mülltonne zu stellen als ohne Licht durch die Innenstadt zu radeln. Eine gut gemeinte Tat, die jeden Sozialkundelehrer zu Freudentränen rühren könnte, wird vom Ordnungsamt mit der emotionalen Eleganz einer Betonmauer beantwortet. Der Bürger will helfen – das Amt will kassieren. Eine Symbiose, so alt wie die Verwaltung selbst.

Die Geschichte beginnt harmlos: Jemand stellt seine Pfandflaschen neben einen öffentlichen Mülleimer. Nicht, weil er die Stadt verschmutzen möchte, sondern weil er denkt: „Vielleicht freut sich jemand darüber.“ Ein stiller Akt der Mitmenschlichkeit, ein weihnachtlicher Gedanke mitten im Alltag, ein kleines Zeichen von Solidarität in einer Welt voller Paywalls und Parkplatzknappheit. Und was passiert? Ein Ordnungsamt-Streifenwagen kommt um die Ecke geschossen wie bei einem Einsatz zur Rettung der Zivilisation.

Szenenwechsel: Zwei Mitarbeitende im perfekten Ordnungsamt-Blau standen wohl am Tatort, machten ernste Mienen, schüttelten ihre Köpfe und notierten im Notizblock: „Tatbestand erfüllt. Gefährliche Mildtätigkeit.“ Dann flattert wenige Tage später der Bescheid ins Haus: 128,50 Euro. In Worten: Einhundertachtundzwanzig Euro und fünfzig Cent. Für einen Betrag, den man durch Pfandflaschen vermutlich erst nach 7.000 Spaziergängen wieder reinholen könnte.

Die Bevölkerung reagiert – wenig überraschend – mit Kopfschütteln, Stirnrunzeln und der neuen Lieblingsfrage: „Ist das hier noch Sozialleben oder schon staatlich geprüfter Kleinsatirebau?“ Viele fragen sich, was wohl als Nächstes kommt. Strafzettel für Menschen, die anderen beim Tütentragen helfen? Bußgeld für das vorsichtige Zurückklappen von Einkaufswagen? Eine Ordnungswidrigkeit für das freundliche Halten der Tür?

Offenbar hat Dortmund einen neuen Feind entdeckt: den gutmeinenden Bürger. Der Mensch, der nicht einfach seine Flaschen in den Container werfen möchte, sondern sie bewusst dort ablegt, wo jemand mit einem finanziellen Engpass sie finden könnte. Eine klassische Win-win-Situation – dachte man. Doch die Verwaltung denkt eben anders: Wenn Hilfe zu leicht wird, besteht die Gefahr, dass jemand nicht erst einen achtseitigen Antrag ausfüllt. Und das geht nun wirklich nicht.

Aus rein verwaltungstheoretischer Sicht handelt es sich übrigens um „unerlaubte Abfallablagerung“. Dass dieselben Flaschen fünf Minuten später von jemandem mit leuchtenden Augen eingesammelt werden – irrelevant. Paragraph schlägt Realität, wie so oft.

Dabei könnte man es auch anders sehen: Das Ganze ist vielleicht die innovativste Sozialmaßnahme seit Einführung der Parkscheibenpflicht. Eine moderne Form des Reverse-Fundraising: Man spendet nicht nur seine Flaschen – man zahlt sogar noch drauf. Quasi: „Hilfe plus Strafgebühr“. Vielleicht die Zukunft des Sozialstaats? Wer weiß.

Der Betroffene selbst dürfte die Welt nicht mehr verstanden haben. Erst die Überraschung, dann Empörung, dann vermutlich ein kurzer Blick ins Portemonnaie – und der leise Gedanke: „Hätte ich die Flaschen doch einfach behalten.“

Doch das Ganze hat einen wichtigen Nutzen: Es zeigt, dass Themen wie Armut, Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit dringend ein Update brauchen – eins, bei dem der gesunde Menschenverstand auch wirklich mitinstalliert wird.

Bis dahin bleibt die Moral der Geschichte: In Dortmund sollte man seine Mildtätigkeit entweder tarnen, legalisieren oder gleich im Dunkeln ausüben. Denn wer Gutes tun will, braucht heutzutage nicht nur ein großes Herz, sondern auch ein kleines Konto für Bußgelder.