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Ahlen gedenkt – und der Musikverein spielt den Soundtrack der Nachdenklichkeit

Es ist wieder soweit: Deutschland zieht die ernsten Gesichter auf. In Ahlen steht der Volkstrauertag vor der Tür – jener Tag, an dem man Innehalten, Gedenken und bitte keine Witze machen soll (was natürlich das perfekte Reizthema für Satire ist). Bürgermeister und Stadt rufen die Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme auf. Ort des Geschehens: der Marktplatz. Zeit: 18.15 Uhr. Stimmung: irgendwo zwischen ehrfurchtsvoll und leicht frierend.

Ahlen gedenkt – und der Musikverein spielt den Soundtrack der Nachdenklichkeit

Hier trifft sich dann das, was man gemeinhin als „gesellschaftliche Gruppen“ bezeichnet – also alles von A wie AWO bis Z wie Zivilschutzverein. Einmal im Jahr stehen sie Seite an Seite und lauschen den Klängen des Musikvereins Vorhelm, der zuverlässig das musikalische Äquivalent zu grauen Novemberwolken liefert: feierlich, getragene Bläser, die jede Hoffnung auf ein Lächeln professionell im Keim ersticken.

Der Bürgermeister eröffnet die Veranstaltung mit einer Begrüßung, die so klingt, als wäre sie direkt aus der kommunalen Rhetorikschule für „Bedeutungsschwere mit leichtem Vibrato“ entnommen. Danach folgt die große Besonderheit dieses Jahres: Der Bürgermeister aus Ahlens Partnerstadt Differdingen ist zu Gast. Luxemburg sendet also seinen Gruß in die münsterländische Melancholie. Das ist europäische Freundschaft, wie sie im Buche steht: Einer redet, alle frieren – vereint in stiller Symbolik.

Am Mahnmal der Opfer von Kriegen und Gewalt wird es dann richtig feierlich. Der Bürgermeister und der Kommandeur des Aufklärungsbataillons 7 treten mit militärischer Präzision nach vorne, um Kränze niederzulegen. Diese Kränze sind, wie immer, in der Tradition der kommunalen Floristik kunstvoll gefertigt – halb Ehre, halb Efeu. Während die Bläser im Hintergrund tief seufzen, senkt sich das Publikum in die angemessene Haltung zwischen Andacht und innerem „Wie lange noch?“.

Dann folgt das „Totengedenken“ – jenes literarisch festgelegte Ritual, bei dem man sich fragt, warum es so heißt, wo doch niemand mehr zuhört. Aber immerhin: Es wird von einem Auszubildenden der Stadtverwaltung vorgetragen. In Ahlen legt man also Wert auf Nachwuchsförderung – selbst im Bereich der Trauerkultur. Wer hier fehlerfrei durchkommt, hat im Rathaus schon mal einen Stein im Brett.

Und damit ist der Volkstrauertag in Ahlen im Grunde perfekt: Ein bisschen Militär, ein bisschen Musik, ein bisschen Pathos – alles gewürzt mit dem wohltuenden Gefühl, etwas Richtiges getan zu haben.

Aber hinter all der satirischen Fassade bleibt natürlich der ernste Kern: Der Volkstrauertag erinnert an die Opfer von Krieg und Gewalt, an Leid, Verlust und an die Verantwortung, dass so etwas nicht wieder passiert. Nur eben mit typisch deutscher Effizienz und Ablaufstruktur. Selbst das Gedenken ist hier pünktlich, geordnet und musikalisch begleitet – wahrscheinlich mit exakter Minutenplanung:
18.15 Uhr Beginn,
18.20 Uhr Rede,
18.35 Uhr Kranz,
18.45 Uhr Trompete,
18.50 Uhr frierendes Publikum,
18.55 Uhr allgemeines Nicken,
19.00 Uhr Ende, Applaus, Rückzug in die Wärme.

Doch seien wir ehrlich: Wenn in Ahlen am Volkstrauertag die Glocken läuten, dann hat das auch etwas Tröstliches. Es zeigt, dass die Stadt noch weiß, wie man zusammensteht – selbst im November, wenn die Blätter fallen und die Seele ein bisschen mitsinkt. Zwischen Musikverein, Militär und Mahnmal entsteht dann doch so etwas wie Gemeinschaft – nur eben in Moll.

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Gedenken ist kein Trend, sondern Tradition – und in Ahlen hat Tradition bekanntlich Sitzfleisch.