Ahlen und die Wiederauferstehung der Steinstatuen
Man stelle sich die Szene vor: Feierlich enthüllt die Stadt ihre frisch polierte Dreiergruppe. Kulturfunktionäre strahlen, als hätten sie persönlich den Kreuzweg gepflastert, und das Publikum nickt ehrfürchtig, weil man ja nicht zugeben will, dass man den Unterschied zwischen Original und Abguss ohnehin nicht erkennt. „Wir stehen hier nicht nur vor Kunstwerken, sondern vor einem Stück Herz unserer Stadt“, so die Botschaft – wobei dieses Herz offenbar aus Kalksandstein besteht und 42.000 Euro gekostet hat.
Apropos Kosten: Die Finanzierung liest sich wie ein Adventskalender der Lokalpatriotismen. Land NRW: 21.000 Euro – quasi der große Nikolaus. Die Bürgerschaft: 11.000 Euro – der solidarische Adventskranz. Und die Stadt: 10.000 Euro – das war wohl die Schachtel Dominosteine aus dem Discounter. Dazwischen finden sich Stiftungen, Rotary Clubs, Stadtwerke und Bürger, die beweisen, dass man in Ahlen für Steine mehr Begeisterung aufbringen kann als für Schlaglöcher.
Und weil in Ahlen nichts ohne Nachbarschaftshilfe läuft, hat auch die Bürgermeistervilla ihren Beitrag geleistet: Strom und Wasser für die Restauratoren. Das klingt, als hätte man dort eine WG gegründet: „Klar, ihr könnt bei uns duschen – und ladet bitte den Meißel-Akku voll, wenn ihr schon dabei seid.“
Die Originale selbst sind derweil in die Trauerhalle des Westfriedhofs umgezogen – geschützt, bewacht und so fragil, dass sie nicht einmal mehr Wind sehen dürfen. Man stelle sich vor: 120 Jahre Wind und Wetter überlebt, aber jetzt reicht schon ein Nieser, um das ganze Kunstwerk zu gefährden. Deswegen stehen draußen jetzt die Abgüsse. Ein bisschen wie im Fitnessstudio: Draußen die muskulösen Poster, drinnen die empfindlichen Originalkörper.
Historisch gesehen ist die Kreuzigungsgruppe ein wahres Multitalent: Fronleichnamsstation, Stadtparkbegrüßungskomitee und Totengassen-Dekoration in einem. Früher hielten hier Prozessionen, heute hält hier höchstens noch der Hundespaziergang. Aber immerhin: Wer durch die Totengasse schlendert, wird daran erinnert, dass hier schon im 14. Jahrhundert Menschen lagen, die sich sicher nicht träumen ließen, dass 600 Jahre später jemand Förderanträge für ihre Nachbarschaft schreiben würde.
Die Geschichte des Kamptors ist dabei die Kirsche auf dem Denkmal-Kuchen. Einst mächtiges Stadttor, dann überflüssig, schließlich abgerissen. Heute bleibt von seiner Pracht ein paar Fundamente im Straßenraum – die vermutlich öfter angefahren werden als die Figuren bewundert.
Am Ende bleibt festzuhalten: Die Kreuzigungsgruppe ist mehr als ein Denkmal. Sie ist Ahlener Identität in Kalk gegossen – mit einem Hauch von Ikea-Prinzip. Originale sicher verwahrt, draußen die Abgüsse, und alles für die Ewigkeit konserviert. Wenn irgendwann mal Außerirdische landen, werden sie sagen: „Wow, diese Menschen haben echt an alles gedacht. Sogar doppelt.“