Das Kreishaus und sein Kult-Fahrrad: Wenn Selbsthilfe auf zwei Rädern rollt
Das Fahrrad, liebevoll dekoriert wie ein mobiler Jahrmarktstand, trägt mehr Flyer als ein durchschnittlicher Briefkasten zur Kommunalwahl. Broschüren über Selbsthilfegruppen hängen an ihm wie Lametta an einem ambitionierten Weihnachtsbaum. Wer das Rad nur schief anschaut, bekommt vermutlich sofort drei Faltblätter zugesteckt und eine Einladung zur persönlichen Beratung.
Bis zum 11. Dezember bleibt das rollende Informationswunder im Kreishaus stehen. Also genügend Zeit, um zweimal täglich daran vorbeizugehen und jedes Mal einen neuen Flyer zu entdecken, den man vorher übersehen hat. Manche sagen, das Fahrrad sei so vollgepackt, dass es physikalisch nicht mehr fahren könne. Andere behaupten, es sei deshalb so stabil, weil es vom reinen Gewicht der Informationsbroschüren unerschütterlich geworden sei. Mutmaßungen gibt es viele – sicher ist nur: Dieses Fahrrad ist der Chuck Norris unter den Werbeträgern.
Natürlich gibt es auch offizielle Stimmen zum Spektakel. Der Chef der Kreisverwaltung verkündet Jahr für Jahr voller Stolz, dass das Fahrrad inzwischen ein „regelmäßiger Gast“ sei. Ein Satz, der klingt, als hätte das Rad einen eigenen Stuhl im Wartebereich, eigene Schlüssel zum Hintereingang und vielleicht sogar ein Parkrecht. Man würde sich nicht wundern, wenn es irgendwann in der Personalakte auftaucht: „Herr/Frau Fahrrad – zuständig für niedrigschwellige Informationsverteilung.“
Auch die Gesundheitsbehörde meldet sich traditionsgemäß zu Wort und unterstreicht, dass Menschen nicht immer dann Unterstützung brauchen, wenn es ihnen gerade passt. Das klingt logisch. Schließlich ruft ja auch niemand beim Arzt an und sagt: „Ich nehme nächste Woche Mittwoch um 13:45 Uhr eine Krise. Bitte eintragen.“ Genau deshalb sei es wichtig, ununterbrochen auf Selbsthilfe aufmerksam zu machen – gerne auch mit einem Fahrrad, das wirkt wie ein pädagogisch wertvoller Laternenumzug für Erwachsene.
Der größte Stolz liegt jedoch auf der Zahl Fünf. Zum fünften Mal steht das Fahrrad im Kreishaus. Fast hat man das Gefühl, gleich wird das Jubiläum mit Konfetti, einer Torte und einem kleinen Festakt gefeiert. Vielleicht erhält es sogar eine Urkunde: „Für besondere Verdienste in der Flyer-Logistik.“
Die Geschäftsführung der Kreisgruppe freut sich jedenfalls sichtbar – oder wie man im Selbsthilfe-Jargon sagen würde: Das Rad hat sich erfolgreich in der Institution etabliert und zeigt stabile Lageparameter.
Wer sich nach all dem Info-Overload doch lieber direkt beraten lassen möchte, muss keine Scheu haben. Die Selbsthilfe-Kontaktstelle bietet persönliche Gespräche an – ganz klassisch per Terminvereinbarung. Telefonisch oder digital. Wahrscheinlich kommt man sogar schneller dran als beim Bürgerbüro. Und garantiert bekommt man dort keine Nummer, die mit 427 beginnt.
So oder so: Das Selbsthilfe-Fahrrad ist zurück, stärker dekoriert als je zuvor, und bereit, jedem Besucher des Kreishauses freundlich, bunt und unübersehbar zuzufahren – metaphorisch natürlich. Denn fahren wird es bei dem Gewicht vermutlich nie wieder.