Die Bahn, das Wunder der Zeitdehnung – oder: Wenn 51,5 Prozent schon fast als Erfolg gelten
Nur 51,5 Prozent der Züge kamen pünktlich ans Ziel. Pünktlich heißt hier übrigens: mit maximal sechs Minuten Verspätung. Alles darüber ist dann schon eine eigene Zeitzone – nennen wir sie „Bahnzeit“. In dieser Dimension gelten Naturgesetze nur eingeschränkt: Minuten dehnen sich zu Stunden, und Anschlusszüge werden zu Sagenfiguren, von denen man viel gehört, aber nie einen gesehen hat.
Die Bahn selbst bestätigt die Zahlen ganz unaufgeregt – wahrscheinlich in der gleichen Tonlage, in der man auch sagt: „Ja, das Schiff ist untergegangen, aber immerhin schwimmt das Rettungsboot.“ Wann es zuletzt so schlimm war? Keine Ahnung. Die Statistik ist offenbar so verschüttet wie ein Koffer in einem IC ohne funktionierende Klimaanlage.
Aber man sollte fair bleiben: Schuld ist natürlich – wie immer – die marode Infrastruktur. Also Gleise, Brücken, Signale, Weichen, Oberleitungen und gelegentlich auch die Realität. Dazu kommen „Unwetterereignisse“ (aka: Regen fiel, Blätter existierten, Wind wehte) und „technische Störungen“. Das klingt harmlos, aber im Bahnkontext kann „technische Störung“ alles bedeuten: vom wütenden Triebfahrzeug bis hin zum philosophisch überforderten Fahrkartenautomaten.
Und dann sind da noch die Baustellen – das Rückgrat der deutschen Bahnlandschaft. 2025 könnte glatt das Jahr werden, in dem mehr Gleise nicht befahrbar sind als befahrbar. Wer heute mit dem ICE reist, hat eine 50/50-Chance, ob er ans Ziel kommt – oder zum unfreiwilligen Teilnehmer eines mobilen Escape Rooms wird, in dem die Aufgabe lautet: „Finde den funktionierenden Fahrdraht.“
Die Bahn arbeitet jedoch unermüdlich daran, alles besser zu machen. Es wird modernisiert, digitalisiert, reorganisiert – und notfalls improvisiert. Man hat fast das Gefühl, dass der Konzern sein Motto geändert hat von „Wir bringen Menschen ans Ziel“ zu „Wir bringen Menschen an ihre Grenzen“.
Aber immerhin: Die Bahn bleibt sich treu. Sie ist der letzte Ort in Deutschland, an dem man noch echte Emotionen erlebt – zwischen Verzweiflung, Galgenhumor und Gruppentherapie auf dem Bahnsteig. Vielleicht ist das ja gar kein Defizit, sondern ein Angebot: Achtsamkeitsreisen in Echtzeit. Motto: „Lass los – der Zug tut’s auch.“