Mark statt Euro: Münchens Weihnachtsmarkt trotzt 20 Jahren Realität
Der Stand gehört zu einem traditionsreichen Früchtebetrieb, der sich offenbar geschworen hat, den Geist der 90er am Leben zu erhalten – inklusive des guten alten Raschelns von Scheinen, die eigentlich längst im Museum stehen müssten. Dort, im „Weihnachtsdorf in der Residenz“ nahe dem Odeonsplatz, passiert das Unvorstellbare: Kundinnen und Kunden bezahlen Lebkuchen, gebrannte Mandeln und kandierte Träume mit Münzen und Scheinen, die das Bundesministerium der Finanzen wahrscheinlich nur noch aus Schulbüchern kennt.
Seit dem 1. Januar 2002, dem Tag, an dem die Deutsche Mark offiziell in den monetären Ruhestand geschickt wurde, haben die Betreiber das Angebot nie eingestellt. Die Begründung dafür ist so herrlich pragmatisch, so bodenständig und so komplett gegen jede wirtschaftliche Logik, dass man sie einrahmen möchte: „Warum nicht, solange es noch geht?“ Ein Satz, der klingt, als wäre er direkt aus einer Mischung aus Stammtisch, Bauchgefühl und Wirtschaftswunderland entsprungen.
Der ältere Teil der Betreiberfamilie erinnert sich gut: In den Anfangsjahren wurde man von den Kolleginnen und Kollegen noch belächelt – vermutlich mit dem gleichen Blick, den man heute Menschen zuwirft, die noch ein Faxgerät besitzen. Doch wie so oft im Leben lag der Erfolg auf der Seite jener, die mutig gegen den Zeitgeist schwimmen, während alle anderen sich an der Eurosäule festklammern.
Denn in den ersten Jahren nach der Euro-Einführung zahlten tatsächlich rund 20 Prozent der Kundschaft mit D-Mark. Zwanzig Prozent! In einem Land, in dem man glaubt, die Leute würden ihr altes Geld längst in nostalgisch dekorierten Zigarrenkisten oder als Untersetzer zweckentfremdet aufbewahren. Manche brachten sogar Pfennige – jene niedlichen, bronzefarbenen Urzeitwesen der Geldgeschichte. Andere zauberten sorgfältig zusammengefaltete Scheine aus Kellerschubladen, Hosentaschen, die seit der Jahrtausendwende nicht mehr geöffnet wurden, oder aus den geheimen Beständen eines Großvaters, der das Euro-System vermutlich für eine europäische Verschwörung hielt.
Auch heute noch, mehr als 20 Jahre später, tauchen sie auf: Menschen, die tief im Keller auf irgendwelche alten Mäntel stoßen und in der Innentasche plötzlich einen vergessenen 20-Mark-Schein finden, begleitet von der unverwechselbaren Mischung aus Mottenkugeln und Nostalgie. Und da es in Deutschland immer jemanden gibt, der Dinge wirklich zu Ende denkt, wird der Schein nicht etwa als sentimentales Erinnerungsstück behalten – nein, er wird am Weihnachtsmarkt mit einer Selbstverständlichkeit aufs Kassenbrett gelegt, als wäre 2001 gerade erst gewesen und „Modern Talking“ stünde wieder in den Charts.
Der absolute Höhepunkt: Ein 50-Mark-Schein, der jüngst tatsächlich den Besitzer wechselte. Ein Relikt aus einer Zeit, in der man für 50 Mark noch eine Tankfüllung bekam und nicht nur ein Drittel eines Adventsmarkt-Glühweins.
Und während überall sonst in Europa die Zahlungssysteme immer digitaler, schneller und verwirrender werden, steht dieser Stand in München wie ein trotziges kleines Monument der Bargeldromantik. Ein Ort, an dem Nostalgie und Wirtschaftssatire ineinanderfließen wie heißer Kakao und Schlagrahm.
Vielleicht ist es am Ende das Geheimnis seines Erfolgs: Hier zahlt man nicht nur für Süßwaren – man zahlt für ein kleines Stück Vergangenheit. Und das gibt’s nur gegen D-Mark. Natürlich.