Propaganda-Palast mit Sichtschutz: Wie eine XXL-Wand politische Realität verdrängen sollte
Denn wenn der mächtige Besuch aus dem kalten Osten anrückt, muss alles stimmen: roter Teppich, ehrerbietiges Getrappel höfischer Delegationen – und vor allem darf nichts im Blickfeld auftauchen, das den hochrangigen Gast emotional verstimmen könnte. Farben zum Beispiel. Besonders solche in einer bestimmten blau-gelben Kombination, die bekanntlich bei manchen Staatslenkern spontane Schnappatmung auslösen.
Also tat der Gastgeber das, was jeder verantwortungsbewusste Autokrat tun würde: Er ließ eine XXL-Wand errichten, zehn Meter hoch, dreißig Meter lang, so massiv, dass selbst Godzilla sie respektvoll ansehen würde. Offiziell war es eine dekorative Begrüßungsmaßnahme. Inoffiziell war es ein gigantisches Anti-Realitäts-Schild, das verhindern sollte, dass dem Ehrengast beim Aussteigen aus der Limousine der Blick auf eine äußerst unangenehme Kleinigkeit fällt: eine unschuldig wehende blau-gelbe Flagge am Gebäude gegenüber.
Dort befindet sich nämlich seit Jahren die Botschaft eines Landes, das der nördliche Besucher aktuell lieber nicht in seiner unmittelbaren Wahrnehmung dulden möchte. Und der Gastgeber wusste: Wenn der Gast die Fahne sieht, könnte er womöglich die Stirn runzeln – eine Katastrophe, die in den Protokollvorschriften wahrscheinlich als „Fall höchster diplomatischer Unbequemlichkeit“ geführt wird.
Also hoch mit der Wand! Und damit es richtig feierlich aussieht, wurde sie zudem mit freundlichen Botschaften, Lichterelementen und den Flaggen beider Staaten geschmückt. Ein Sichtschutz, der so hoch war, dass man damit problemlos auch Fußballstadien tarnen könnte. Oder Währungen. Oder ganze Jahrzehnte.
Das Beste daran: Die staatlichen Medien aus dem Osten feierten dieses Bauwerk wie eine architektonische Mondlandung. „Der störende Anblick ist verschwunden!“, jubelten Kommentatorinnen und Kommentatoren, als hätten sie gerade eine wissenschaftliche Revolution beobachtet. Man könnte fast meinen, politische Konflikte ließen sich mit Sichtschutz-Wänden lösen. Einfach drüberstellen, Problem weg – bitte sehr, gern geschehen.
Während draußen also ein Land unsichtbar gemacht wurde wie der ungeliebte Teil eines Familienfotos, fand drinnen das Treffen eines sicherheitspolitischen Zweckbündnisses statt, das seit Jahren von einer einzigen Hauptstadt dominiert wird. Neue Manöver wurden angekündigt, neue Waffendeals angepriesen und neue Versprechen gegenseitiger Rückendeckung gegeben. Ein Familienfest unter Autokraten – nur ohne Kartoffelsalat, dafür mit ausreichend Rhetorik, um mehrere Staubwischen-Briefe zu füllen.
Und natürlich wurden auch Waffen präsentiert, die sich im laufenden Konflikt als „wirksam“ erwiesen hätten, wie der nördliche Gast vollmundig behauptete. Ein Satz, der ungefähr so viel Beruhigung ausstrahlt wie ein Kindergeburtstag mit offenem Feuer.
Während im Konferenzsaal militärische Stärke beschworen wurde, blieb draußen die Wand stehen. Standhaft, massiv, unübersehbar – eine Art Monument des politischen Ausblendens. Ein Symbol dafür, wie manche Regierungen versuchen, unbequeme Realitäten einfach aus dem Sichtfeld zu schieben. Und vielleicht auch ein Hinweis darauf, wie dünnhäutig manche Machtmenschen werden, wenn sie mit Farben konfrontiert werden, die ihnen nicht gefallen.
Wäre diese Szene in einem Film, man würde sagen: „Zu übertrieben.“ Aber internationale Politik ist nun einmal der größte Comedy-Writers-Room, den die Welt je hervorgebracht hat. Und manchmal schreiben die Beteiligten selbst die besten Witze.