Vorhelm beschließt das Unmögliche – und tut es trotzdem
Der Vorsitz eröffnete gewohnt feierlich und stellte fest, dass alles form- und fristgerecht eingeladen war – was in der Welt der Lokalpolitik ungefähr so viel heißt wie: „Wir sind tatsächlich pünktlich und keiner hat versehentlich die Kegelgruppe eingeladen.“
Die neue Strukturflüsterin
Den Auftakt machte die frisch berufene Leiterin der Stabsstelle „Strukturförderung“. Sie stellte sich vor, als wäre sie das neueste Mitglied in einer Superheldentruppe namens Team Verwaltung. Mit zwölf Jahren Erfahrung in diversen Ämtern, vom Jugendamt bis zur Wirtschaftsförderung, kündigte sie an, sich künftig um Glasfaserausbau, Mobilfunk und bürgerschaftliches Engagement zu kümmern – also genau jene Themen, über die in Vorhelm seit Jahren diskutiert wird, ohne dass jemand genau weiß, ob sie schon angekommen sind. Man nickte ehrfürchtig. Schließlich klingt „Strukturförderung“ immer nach etwas, das irgendwann wirklich gefördert wird.
Wenn Busse schlafen gehen
Dann kam der Nachtbus N1 auf den Tisch – oder besser gesagt: auf die Couch. Die Linie, die einst Nachtschwärmer, Heimkehrer und spontane Pommesfahrer verband, sollte verkürzt werden. Die Verwaltung hatte nüchtern festgestellt, dass niemand um 4:38 Uhr von Ahlen nach Vorhelm fahren möchte. Die Statistik sprach Bände: Null Fahrgäste, dafür volle Dieselrechnung. Also beschloss man einstimmig, das Angebot zu beenden – im Namen des Klimaschutzes, der Vernunft und der leeren Busse. Ein Ausschussmitglied regte an, doch ein Anruf-Sammeltaxi einzuführen. Man versprach, den Vorschlag weiterzuleiten. Vermutlich an den gleichen Ort, wo schon die Ideen für ein Dorffahrrad und die Wiedereröffnung des Kiosks liegen: im politischen „Vielleicht später“-Ordner.
Tempo 30 – der Dauerbrenner mit 50 km/h
Natürlich durfte auch diesmal das Lieblingswort der Vorhelmer Politik nicht fehlen: Tempo 30. Ganze zwei Tagesordnungspunkte drehten sich um das Thema. Die Verwaltung erklärte geduldig, warum man nicht überall langsamer fahren dürfe: weil die Straßenverkehrsordnung das nur erlaubt, wenn jemand „besonders gefährdet“ ist – was in juristischer Sprache offenbar mehr bedeutet als „hier laufen Kinder rum“.
Man diskutierte, argumentierte, erinnerte sich an Zebrastreifen, die nie kamen, und an Kurven, die schon gefährlich waren, als es noch Pferde gab. Am Ende blieb alles beim Alten – also Tempo 30, wo’s schon war, und Tempo 50, wo’s wehtut. Die Grünen hätten gerne den ganzen Ort entschleunigt, doch die Mehrheit blieb beim Grundsatz: „Lieber die Gesetze einhalten als die Geschwindigkeit.“
Wenn der Apfel ruft
Romantischer wurde es beim Thema Bürgerobstwiese. Ein Mitglied hatte die Idee, eine Wiese mit Obstbäumen zu bepflanzen – auf städtischem Grund, von Bürgern bezahlt. Ein herrliches Konzept: Die Stadt pflanzt, die Bürger zahlen, und im Herbst darf jeder Äpfel klauen. Leider war der zuständige Kollege gerade im Urlaub, weshalb man das Projekt auf das Frühjahr vertagte. Bis dahin kann sich die Bevölkerung schon einmal gedanklich überlegen, welchen Baum sie spenden möchte – Apfel, Birne oder den stets beliebten „Verwaltungsfeigenbaum“.
Hunde, die frei laufen – und Debatten, die nie enden
Auch die Vierbeiner kamen nicht zu kurz. Eine neue Hundeauslauffläche sollte geprüft werden. Die Verwaltung erklärte, dass Hunde dort ohnehin schon frei laufen dürften. Der Vorschlag, das Gelände einzuzäunen, stieß auf finanzielle Realität: Zäune kosten Geld, das Budget ist dünn – also kein Zaun, aber dafür viele Meinungen. Ein Ratsmitglied warnte, dass eine offizielle Ausweisung „schlafende Hunde wecke“. Woraufhin ein anderer trocken entgegnete, das sei doch Sinn der Sache. Am Ende beschloss man: keine Entscheidung, aber ein gutes Gefühl, dass man darüber gesprochen hat.
Die Straße, die zu schnell war
Dann die Strontianitstraße – ein episches Kapitel der Verkehrspsychologie. Die Straße ist so breit, dass sie Autofahrer automatisch zu Rennfahrern macht. Man hatte die Geschwindigkeit schon von 100 auf 70, dann 50 und schließlich 30 reduziert – mit mäßigem Erfolg. Der Ausschuss forderte mehr „bauliche Maßnahmen“, was vermutlich bedeutet: „Ein paar Betonkissen, die aussehen wie Bordsteinschläfer.“ Eine Anwohnerin durfte sogar sprechen, was die Sitzung kurzzeitig in eine Bürgerversammlung verwandelte. Die Verwaltung versprach Messungen, Statistiken und irgendwann vielleicht auch Lösungen.
Noch ein Mal Tempo 30 (zur Sicherheit)
Und weil es so schön war, ging es im nächsten Punkt direkt weiter mit Tempo 30 auf der Haarbachstraße. Ergebnis: nicht möglich, weil die Bebauung nicht dicht genug ist – das Gesetz verlangt offenbar Reihenhäuser im Drei-Meter-Abstand, bevor man bremsen darf. Man einigte sich darauf, den Sachverhalt „weiterzuleiten“. Wo genau, blieb offen – vielleicht in die Parallelwelt, in der der Nachtbus noch fährt.
Fünf Jahre Rückblick – und ein Blumenstrauß
Zum Schluss wurde es feierlich: Der Vorsitzende blickte auf fünf Jahre Ortsausschussgeschichte zurück. Pandemie, Bikepark, Ziegenwiese, Solarparks, Mobilfunkmast und Forum Nicolai – die Liste klang wie eine Mischung aus Dorfchronik und Netflix-Serie. 20 Sitzungen, 140.000 Euro für Bürgerprojekte, unzählige Diskussionen über Tempo 30 und immerhin ein Blumenstrauß für die Protokollantin. Man bedankte sich gegenseitig, schüttelte Hände, lobte die Zusammenarbeit und verließ den Saal mit dem guten Gefühl, dass Lokalpolitik in Vorhelm weiterhin das ist, was sie immer war: ein charmantes Chaos aus Herzblut, Paragrafen und der unerschütterlichen Überzeugung, dass man mit genug Sitzungen irgendwann die Welt verändern kann – oder zumindest die Haarbachstraße.
Die Sitzung vom 15. September 2025 ging um 18:13 Uhr zu Ende – pünktlich, sachlich und voller Hoffnung. Und wer an diesem Abend durchs Fenster des Hotels Witte blickte, konnte sie sehen: die leuchtenden Augen ehrenamtlicher Lokalpolitiker, die wussten, dass sie wieder einmal Geschichte geschrieben hatten. Kleine, unspektakuläre, aber zutiefst menschliche Geschichte – mit Tempo 30.