Wenn die Alpen zurückrufen: Das Jodeln auf dem Weg zum Weltkulturerbe
Nun aber steht der große Moment bevor: Ein bedeutungsschwerer Ausschuss einer großen internationalen Organisation, die normalerweise dafür zuständig ist, Ruinen, Pyramiden und jahrtausendealte Tempel mit einem Aufkleber „Wichtig!“ zu versehen, berät in einer glamourösen Sitzung in Neu-Delhi darüber, ob auch das Jodeln als Kulturerbe der Menschheit geadelt werden soll. Man stelle sich diese Szene vor: Eine Runde globaler Würdenträger beugt sich feierlich über die Frage, ob Menschen, die Töne von sich geben, die klingen wie alpine Morsezeichen, künftig offiziell als Weltkulturschatz gelten.
Die Entscheidung fällt bis zum 13. Dezember – ein Datum, das in der Schweiz vielleicht bald als „Tag der akustischen Revolution“ gefeiert wird. Manche munkeln schon, dass die Glocken der Alpenkühe an diesem Tag besonders fröhlich bimmeln werden. Ob als Zeichen der Unterstützung oder als Versuch, die Jodler zu übertönen, bleibt offen.
Aus Fachkreisen hört man, dass es höchste Zeit sei, die Tradition von ihrem verstaubten Image zu befreien. Die Ansicht, Jodeln sei altbacken, sei schlicht falsch – was man spätestens dann merkt, wenn man eine moderne Jodelgruppe erlebt, die zwischen zwei keuchenden Höhenrufen kurz aufs Smartphone schaut, ob die Playlist für die Après-Jodel-Party stimmt. Man möchte meinen, Tradition und Gegenwart verschmelzen dabei zu einer Art akustischem Käsefondue: deftig, heiß und potenziell brandgefährlich.
Dabei fehlt es nicht an Nachwuchs. Ganz im Gegenteil: Mehr als zehntausend Menschen gehören allein dem offiziellen Verband der Jodler an – und das sind nur die, die es zugeben. Die Dunkelziffer heimlicher Küchen- und Duschkabinenjodler ist vermutlich gigantisch. Bleibt die Frage: Wie viele von ihnen haben sich dabei schon versehentlich die Türklinke hochgejodelt?
Wer denkt, Jodeln sei reines Gefühl, der irrt gewaltig. Der Verband führt Wettbewerbe durch, die strenger organisiert sind als die Steuererklärung eines Buchprüfers. Liedpartituren müssen vorher eingereicht werden, als würde man beim Jodeln unbeabsichtigt ein Orchester dirigieren können. Und dann die Kleidung! Es reicht nicht, sich einfach in irgendetwas Wolliges zu werfen. Nein, „korrekte Tracht“ ist Pflicht – und wehe dem, der sein Tuch zu modern knotet oder seine Socken in einer rebellischen Farbe trägt. Wer gegen die Regeln verstößt, wird laut Reglement disqualifiziert. Nicht ausgeschimpft, nicht lächelnd verwarnt – disqualifiziert. Man stelle sich das Bild vor: Ein Jodler wird mitten im Vortrag leise von der Bühne gezogen, weil sein Hosenträger nicht der Norm entspricht.
Aber vielleicht ist genau diese Mischung aus liebevollem Perfektionismus, strenger Tradition und einer gesunden Portion akustischer Selbstverteidigung das Geheimnis, das das Jodeln so besonders macht. Ein Mensch, der jodelt, sagt schließlich nicht nur „Hallo“, sondern „Hallo mit Echo!“.
Und sollte die Weltorganisation tatsächlich zustimmen, dann wird es ein Fest geben, das man über die Alpen hinweg hören wird. Ein Chor aus freiheitsliebenden Höhenrufern wird sich in die Lüfte schwingen – und vielleicht, ganz vielleicht, wird sogar die Erde kurz zurückjodeln.