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Wenn Steine reden könnten – das Drama vom Marienplatz

Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die klingen, als hätte jemand zu viel Kaffee und zu wenig Verkehrserziehung genossen. Schauplatz: der Marienplatz – Ahlens steingewordener Stolz, Heimat gepflegter Tauben und älterer Herren mit Parka und Dauerkarte fürs Stadtgeschehen. Hier also geschah das Unfassbare: Ein Sattelschlepper – das Lieblingsfahrzeug aller Leute, die „Wenden“ mit „künstlerischem Ausdruckstanz“ verwechseln – setzte zum Manöver des Jahres an.

Wenn Steine reden könnten – das Drama vom Marienplatz

Mit majestätischer Wucht und dem Selbstvertrauen eines Navigationsgeräts, das „Bitte wenden!“ zu wörtlich nimmt, grub sich das tonnenschwere Gefährt in das zarte Natursteinpflaster des Platzes. Das Ergebnis: ein Kunstwerk aus Furchen, das an ein expressionistisches Gemälde erinnerte – Titelvorschlag: „Lasterhaft in Ahlen“.

Die Stadt reagierte schnell. Noch bevor der erste empörte Rentner mit faltigem Zeigefinger „Das war früher aber schöner!“ rufen konnte, rückten die Ahlener Umweltbetriebe aus. Mit Präzision, Hingabe und wahrscheinlich einer Portion innerer Verzweiflung begannen sie, die Steine zu sortieren. Jeder Naturstein wurde wieder liebevoll an seinen Platz gesetzt – wie ein Puzzle, bei dem jemand den Karton mit dem Bild verloren hat.

Ein Fachbetrieb aus der Kategorie „Steineflüsterer GmbH“ übernahm die OP am offenen Pflaster. Mit Fingerspitzengefühl, Kelle und spirituellem Verständnis für Granit führten die Expertinnen und Experten das Natursteinmosaik in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Die Stadt atmete auf. Der Marienplatz war wieder ganz – zumindest fast.

Denn noch bleibt die Fläche abgesperrt. Das Pflaster darf sich jetzt erst mal „setzen“. Sozusagen Wellnessurlaub für Steine: ein paar Tage Ruhe, ein bisschen Feuchtigkeit, vielleicht ein Gespräch mit dem Nachbarpflasterstein über das Trauma der letzten Wochen. Die Umweltbetriebe beobachten die Lage mit der Gelassenheit von Menschen, die wissen, dass in Ahlen nichts schneller trocknet als die Geduld der Anwohner.

In den kommenden Tagen wird das Fugenmaterial geprüft, nachgearbeitet und wahrscheinlich für gut befunden – sofern kein weiterer Lkw beschließt, hier eine spontane Pirouette hinzulegen. Bis dahin bleibt das Areal gesperrt. Ein Absperrband flattert im Wind, Mahnmal und Kunstinstallation zugleich. Man könnte es „Performancekunst im öffentlichen Raum“ nennen, wenn es nicht einfach nur eine Baustelle wäre.

Die Bevölkerung zeigt sich geteilt: Die einen beklagen den „Verlust historischer Pflasterauthentizität“, die anderen genießen die ungewohnte Abwechslung. Kinder tippen auf die Absperrung und fragen: „Kommt hier ein Springbrunnen hin?“ – während die Senioren ihre Spazierstöcke schwingen und vom legendären „alten Pflaster von 1973“ erzählen, das „noch aus richtigem Stein“ bestand.

Die Stadtverwaltung verspricht derweil, alles zu tun, um das Pflaster in Zukunft zu schützen. Gerüchte besagen, man plane bereits Verkehrsschilder mit der Aufschrift: „Wenden verboten – außer bei Lebensgefahr oder plötzlichem Sinneswandel.“ Alternativ steht im Raum, den Marienplatz zur „Stein-Schutzzone“ zu erklären, in der nur noch Lastenräder, Fußgänger und besonders rücksichtsvolle Eichhörnchen verkehren dürfen.

Was bleibt? Eine Geschichte, die zeigt: Selbst in Ahlen können Steine Gefühle haben – und Lastwagen ein erstaunliches Talent für Tanz und Tragödie. Das Pflaster jedenfalls ruht jetzt wieder in Frieden, sorgfältig verfugt, zart gebettet und hoffentlich künftig verschont von den Wendemanövern des modernen Wahnsinns.

Oder, um es mit den Worten eines besonders poetischen Bauhofmitarbeiters zu sagen:
„Manchmal muss man Steine verrücken, um zu erkennen, was sie einem sagen wollen.“

Vielleicht ist das die schönste Pointe einer kleinen, großen Ahlener Tragikomödie.